Sebastian Sturm: "Es ist und bleibt Roots Reggae."

sturm3Seine Freunde nennen ihn offensichtlich den bärtigen Zwerg. Unruhr erlaubt sich keine derartigen Respektlosigkeiten beim Treff mit dem deutschen Bob Marley im Bahnhof Langendreer, und redet mit Sebastian nicht über Homophobie, nicht über aktuelle Trends der deutschen Reggaeszene und auch nicht über Haile Selassie.

Ich habe überlegt, wir sprechen heute mal nicht über Homophobie.
Kann ich eigentlich auch nicht so viel drüber sagen. Ich habe immer wieder, wenn diese Frage aufkam, gesagt: Nur, weil das hier so ein paar jamaikanische Reggae-Artists bringen, was fragt ihr mich denn?

Kommen wir deshalb zu deiner Musik. Die ist an die großen Traditionen des Reggae geknüpft. Wie läuft das im Studio? Seid ihr eher bemüht, den alten Sound möglichst genau zu treffen oder doch mehr euer eigenes Ding zu machen?

Ich glaube, mit den ersten beiden Scheiben „This change is nice“ und „One moment in peace“ haben wir schon sehr arg versucht, den alten Sound zu reproduzieren. Jetzt mit der neuen Scheibe haben wir uns vielmehr Freiheiten gelassen. Mehr Einflüsse von den einzelnen Musikern, weil die Band besteht jetzt nicht nur aus Reggaemuckern, sondern ich würd' eher sagen, dass ich der Einzige der Band bin, der von morgens bis abends Reggaemucke hört. Der Rest kommt aus dem Jazz oder sogar aus dem HipHop Bereich.

Das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte beim Hören eures neuen Albums den Eindruck, dass ihr euch sehr intensiv mit der Reggaemusik der 70er Jahre auseinander gesetzt habt.
Ja klar, wir sind nicht total ausgebrochen, sondern wir haben kleinere Experimentchen gewagt, die wir eben vorher nicht gebracht haben, wie z. B. bei „Life was a bubble“ Nyabinghi-Drums im Hintergrund, die Akustikgitarre da drüber und dann so eine Johnny-Cash-Tremolo-Gitarre da drauf. Aber es ist und bleibt Roots Reggae.

Stimmt es denn, dass ihr altes Equipment benutzt oder war das mehr an deinen alten Produzenten geknüpft?
Ja, muss ich auch sagen. Früher viel, viel mehr. Das ganze Studio-Equipment war original aus den 70ern, 60ern, die ganzen Mikes und Vorverstärker. Das waren so Dinger, die schon die Beatles benutzt haben. Mit der letzten Produktion...ja, wenn du's nicht hast, dann muss es auch nicht sein.
Aber ich glaube, wir hatten schon einen gemeinsamen Nenner, was die Inspiration anging. Zum Beispiel die Bunny-Wailer-Scheibe...


„Blackheart Man“?
...genau, oder die „Talkin' Blues“ von Bob Marley, die ja eher so eine funky Reggae Session war, verspielter und nicht so diszipliniert wie die neueren Sachen. Da sind wir gemeinsam sehr drauf abgefahren. Oder Clinton Fearon, ganz großer Held für uns alle....

Ex-Gladiators...
...ja, Ex-Gladiators, backing vocalist, der hat, glaube ich 2008, 2009 noch mal eine Roots-Scheibe rausgebracht...

...“Me deh yah“..

..die meiner Meinung die beste Roots Reggae Scheibe der letzten Jahre ist. Man hört da eben den Gladiators-Style raus, schon fast mehr als bei den Soloscheiben von Albert Griffiths. Man erfährt schon, dass er für den Sound der Gladiators sehr, sehr wichtig war als Songwriter. Das war z. B. auch so eine Scheibe: Alles klar, was der macht, das können wir auch machen.

So soll's werden...
...ja, und dann die Akustiktracks, der Titeltrack „Get going“ beispielsweise, das ist halt eben so'n Ding, das klingt  wie meine Vorproduktionen. Also, die Entstehungsphase, wenn ich alleine zu Hause sitze und alles selber einspiele und mit ganz minimalistischen Dingen die Sache aufnehme. So klingt es, hat aber die Gunst der ersten Stunde. Aber irgendwie haben wir es nie geschafft, warum auch immer - denn es gibt eigentlich von allen Stücken eine Akustikversion - das bei den ersten beiden Scheiben zu bringen. Und das ist eben jetzt eine kleine Erweiterung unseres Spektrums.


Wenn ihr euch so stark auf die Vorbilder beruft, hast du schon mal drüber nachgedacht, Coverversionen mit drauf zu nehmen?

Ja, wir hatten ja schon mal von Burning Spear auf der ersten Scheibe....oooh, wie heißt denn der Coversong...ja, „Social living“, oh Mann, lange her, lange nicht mehr reingehört...

...mensch, ihr spielt das doch ständig.
...nee nee, das sind Dinger, die haben wir nicht im Repertoire. Auf der zweiten Scheibe haben wir keinen Coversong. Aber auf Live-Konzerten...Wir spielen Clinton Fearon Stücke, früher gehörte von Kiddus I „Graduation in Zion“ zum festen Repertoire.

Ist das auch so eine Rechte-Geschichte mit den Coverversionen?

Nee, das war nie die Frage, ob wir's spielen oder nicht. Wenn wir Bock drauf hatten, haben wir es eben gemacht.

Im Roots Reggae der 70er gab es die ganz enge Verzahnung zwischen Reggae und Rasta. Hat das für dich irgend eine Bedeutung?
Ich sach mal so: Es wäre mir im Nachhinein peinlich, meine Interpretation des Rastafari-Glaubens in meiner Musik zu predigen...

...nun ja, es gibt Deutsche, die sowas machen...
...ja, ja klar...aber mir wär' das einfach zu peinlich, das zu teachen. Ich glaube, ich würde dem Ganzen nicht gerecht werden und mir würde es auch keiner abnehmen. Von daher: Musikalisch super geil, das soll so klingen wie auf Jamaika, das 70er Jahre Jamaika. Lyrisch aber eher aus meiner Umgebung, was mein Leben betrifft. Ich muss mich damit identifizieren können. Ich bin schon ein großer Fan von...viele meiner Lieblingsstücke sind Oden an...an...

..Jah...
..an Jah... Bei Coverstücken wär' mir das auch egal. Aber ich glaube, es ist nicht an mir, Rastafari zu predigen, weil ich auch überhaupt nicht weiß, wie man das lebt. Ich mach' Party, ich trink' Bier. Ich bin nicht monster conscious.

In der Strenge machen das wahrscheinlich auch nur wenige.
Es gibt schon Leute, die das durchziehen, weil sie meinen, das das so ist. Vielleicht waren sie auch mal da und haben gesehen wie man das leben kann.

Du selbst warst noch nicht auf Jamaika?
Nee, ich war auch noch nicht da. Der einzige Kontakt war mit jamaikanischen Künstlern wie Kiddus I oder Pablo Moses. Damals war die JinJin Band mit Pablo Moses auf Tour. Da war das so ein Doppelpack: Pablo Moses und Sebastian Sturm. Mit Kiddus I hatten wir ein sehr, sehr schönes Projekt in Frankreich. Auf dem Reggae Sun Ska Festival. Da hatten wir eine Woche Zeit mit Jahcoustix und Kiddus I ein Programm auf die Beine zu stellen, was dann auch zur prime time auf dem Festival gebracht worden ist. Fünf Stücke von Jahcoustix, fünf Stücke von Kiddus I und fünf Stücke von mir und am Schluss dann noch eines gemeinsam. Das kam sehr gut an.

Hast du mal in Erwägung gezogen, deutsch zu singen?
Ja, das ist aber lange her, das ich mal darüber nachgedacht habe. Ich habe halt nie deutschsprachige Musik gehört. Vielleicht in meiner Kindheit. Von daher müsste ich ganz, ganz weit vorne anfangen, um auszuprobieren wie mein deutschsprachiger Gesang klingen würde. Es ist ja noch immer nicht so, das alles erlaubt ist, das alles durchgeht im Deutschen. Mir fehlen dann auch einfach die inspirations dazu. Wenn ich halt keine deutschsprachige Musik zu Hause höre, die mir gut gefällt, dann müsste ich das Rad neu erfinden. Da ist der Zug längst abgefahren.

Bei den deutschen Reggae-Artists, die deutsch singen, hast du also keinen Favoriten?

Ich schwelge so in den 70er Jahren. Und wenn ich in den Plattenladen geh', dann interessiert mich hauptsächlich nur das. Aktuelles Zeug ist meistens kein Reggae, den ich mir kaufe oder anhöre. Mehr aus dem Rockbereich. Im Soul gibt’s auch ganz gute Sachen.

Letzte Frage: Dein absolutes Top Reggae Album?
Boah...es gibt ja in der Riddim diese Rubrik, wo bekannte Leute ihre Top5 aufzählen..das ist echt 'ne schwierige Sache. Es gab mal Zeiten, da bin ich so dermaßen auf die „Talkin' Blues“ abgefahren, auf jeden Fall „Blackheart Man“, „Me deh yah“ von Clinton Fearon, alle Marley Scheiben, die Gladiators, Burning Spear, Steel Pulse...

...also eher eine Topfifty...
...ja, nach Lust und Laune.


Foto: Christian Hußmann